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Marokko

Teil 1 – Willkommen in Marokko

Wir stehen an der marokkanischen Grenze in Ceuta, neben Melilla eine der beiden spanischen Enklaven in Afrika. Alex bahnt sich mit unseren Reisepässen den Weg durch das geschäftige Durcheinander. Er muss zu Schalter Nr. 4, so will es zumindest ein gut gemeinter Tipp aus dem Reiseführer. Während er sich um die Formalitäten kümmert, unterhalte ich mich mit einem freundlichen Polizisten. Ich erfahre von ihm, dass Österreich auf Arabisch NEMSA heißt und gebe ihm Antworten auf seine Fragen nach dem Woher und Wohin. Als Alex den Einreisezettel organisiert, die Autoversicherung abgeschlossen und das Vorsprechen beim inspecteur erfolgreich beendet hat, verneinen wir noch die Frage nach mitgeführten Feuerwaffen und versprechen, dass wir den sicherlich gut gemeinten Rat, doch endlich zu heiraten, ernsthaft in Betracht ziehen werden. Damit geht das Grenzspektakel als erstes kleines Abenteuer nach einer Stunde zu Ende.

Auf der „anderen“ Seite angekommen, erschlagen uns fast die Menschenmassen und eine Unmenge an Autos, vor allem Taxis, sodass wir im ersten Moment die Straße gar nicht finden können. Ich muss mich komplett umstellen und defensiv fahren, denn hier herrschen offensichtlich andere Gesetze. Ich weiß nicht, ob ich es mir einbilde, aber die Sonne ist in Marokko viel greller!

Unser Auto macht uns seit Ceuta Sorgen. Wir analysieren das Problem und finden heraus, dass wohl ein Relais defekt ist. In Rabat suchen wir eine Werkstätte auf, wo uns das Problem bestätigt wird, leider haben die aber das Teil nicht lagernd, sodass wir nach Casablanca weiterfahren müssen.

RABAT

Dafür ist es heute aber schon zu spät und wir beschließen, eine Nacht in Rabat zu bleiben, wo wir auch schon den ersten näheren Kontakt zur Exekutive haben. Wir übersehen in einem heillos unübersichtlichen Kreisverkehr eine rote Ampel. Kaum geschehen, rast bereits ein aufgebrachter Mann in blauer Uniform auf seinem Moped auf uns zu und beginnt zu schimpfen, was das Zeug hält. Auf Alex‘ Erklärungsversuche erzürnt er sich noch mehr und schreit uns an: „Qu‘est-ce qué tu expliques les choses? Ce n‘etait pas correcte!“ Ja, er hat ja eh Recht, aber Gott sei Dank schickt er uns dann wild fuchtelnd weiter, denn ob seines Wutanfalls wäre ich beinahe ins Schmunzeln gekommen.

Rabat – Moderne und Tradition, Tumult, Abgase, wilder Verkehr, Menschen, noch mehr Menschen, Chaos, Lärm … eine wahre Hauptstadt! Wir finden schließlich die Medina (Altstadt) und einen bewachten Parkplatz. Ich kann es nicht glauben, dass unser Auto heute hier übernachten soll. Vier Männer sind schon um uns bemüht, wir dürfen unseren Wagen sogar neben die caisse stellen, dort sei rund um die Uhr jemand, ja eh nett, aber da sind überall Leute und so viele Leute! Jetzt wollen sie unseren Fronti (Opel Frontera) auch noch putzen! „Laisser-moi travailler!“ Ja schon, aber kann er denn nicht einfach so bleiben wie er ist? Schließlich entscheiden wir uns, einfach zu vertrauen. Wenn er hier nicht sicher ist, wo sonst? 

Die Medina – gigantisch! Menschen, Tumult, Düfte, Musik, Stimmen, überall Geschäfte, Waren, Bettler, Cafés … schließlich finden wir ein einfaches Hotel. Rosa Wände, netter Besitzer und ich glaube, für marokkanische Verhältnisse ist sogar das WC okay. 

Alles in allem ein wundervoller erster Tag in Marokko. Die Menschen scheinen sehr freundlich zu sein und ich fühle mich bereits sehr wohl hier. Ich freue mich schon, dieses märchenhafte Land in den kommenden Wochen besser kennenzulernen.

Der Muezzin! Das ist das Erste am frühen Morgen, was man zu hören bekommt. Wir sind wohl die einzigen in der Stadt, die das Allah Akbar Geknatter durch den Verstärker ignorieren und weiterdösen. Allerdings bin ich vor Lachen spätestens dann hellwach, als Alex sich verschlafen den Polster über den Kopf zieht und verärgert meint: „Nehmt‘s dem Muezzin bitte seinen Verstärker weg!“

Zum Frühstück nehmen wir einen „whisky berber“ (Pfefferminztee) und arabische Patisserie im Café Maure, leider zum Touristenpreis, aber dafür mit wunderbarem Ausblick aufs Meer. Auf dem Weg zu unserem Auto, das die Nacht heil überstanden hat, malt mir ein Mädchen ein wunderschönes Henna Tattoo auf die rechte Hand. Aus einer Spritze drückt sie das Henna auf meine Haut und zeichnet gekonnt ein wunderschönes Blumenmuster. Nach 10 Minuten kann ich die getrocknete Paste abreiben und übrig bleibt die orange Zeichnung.

Nachher suchen wir die österreichische Botschaft auf, um eine Spur zu hinterlassen, falls wir nach Mauretanien weiterfahren. Da wir nicht gleich fündig werden, helfen uns Passanten weiter, die in Erfahrung bringen können, dass sich die österreichische Botschaft gleich neben der amerikanischen befindet – die ja nicht zu übersehen ist! Ich bin schon wieder erstaunt, wie freundlich und hilfsbereit die Menschen hier sind. Oft kommt man gar nicht dazu, zu fragen, weil sie einem vorher schon ansehen, dass man ein Problem hat, und sie einem mit Hilfe zuvorkommen. 

CASABLANCA

Unser nächstes Ziel ist Casablanca. Unser Auto soll ja immer noch in die Werkstatt. Eine wilde Fahrerei ist das hier in Casa! Aus drei Spuren machen die fünf, dann stehen sie quer, verkehrt rum, fahren plötzlich zurück, hupen aus Leidenschaft und veranstalten ein Riesen-Chaos, das dennoch irgendwie funktioniert. Schnell wird nicht gefahren, aber GEFAHREN wird und das hält den Verkehr im Fluss. Aus mir bisher unerfindlichen Gründen finden wir ohne größere Umwege die Werkstätte, wo unser Fronti ambulant aufgenommen wird. Mit etwas Bauchweh lassen wir unser Auto samt Inhalt dort zurück und suchen uns zu Fuß ein Hotel. Nachher spazieren wir zur Nouvelle Medina, zum Habbous, dem Einheimischen Suq Casablancas, wo ich nach ein wenig Feilschen um 250 Dirham meinen ersten Berber-Teppich erstehe. In der Medina ist das Verkaufsleben in vollem Gange. Überall Läden und jeder noch so kleine Fleck ist mit Waren zugedeckt. Gassenweise gibt es nur Lederwaren, oder Gewürze, oder Textilien … alles nur Erdenkliche kann man hier kaufen. Die Gassen sind eng, der Menschenandrang ist groß – nichts für klaustrophobische Gemüter! Alex macht den Vorschlag, musque (Moschus) zu suchen. Wir fragen in einem Lederwarengeschäft und schon springt ein junger Mann auf, der jemanden kennt, der jemanden kennt usw. und so landen wir bei einem (wie meistens) Verwandten und kaufen zu einem recht adäquaten Preis musque. Zufrieden schlendern wir zurück und wollen noch in eine Bar, um einen Saft zu trinken. Schließlich landen wir in der Bar Regent, wo (man höre und staune) Alkohol ausgeschenkt wird. Alex schlürft sein heiß ersehntes Bier, ich einen Pastis und die ganze Zeit unterhält uns ein maroquí, der uns am Ende sogar zum Cous Cous Essen am Freitag (gibt es offensichtlich in Marokko nur freitags) eingeladen hätte, aber da wollen wir Casa schon den Rücken gekehrt haben. 

Am nächsten Morgen holen wir unser repariertes Auto aus der Werkstatt und fahren zur Moschee Hassan II. Skurriler Weise wird uns schon wieder eine Extrawurst zuteil: Im Kreisverkehr direkt neben der zweitgrößten Moschee der Welt darf unser Auto, bewacht von drei Polizisten, auf uns warten, während wir barfuß und auf geheiztem Marmor die 65 Meter hohe und 200 Meter lange Moschee besichtigen. Extrem angenehm finde ich den geringen Besucheransturm. Würde sich ein solch imposantes Bauwerk in Europa befinden, wären wir dort wohl nicht so allein.

SAFI

Jetzt aber raus aus Casablanca! Das ist gar nicht so einfach, aber wir finden dann doch die Straße nach El Jadida. Durch extrem fruchtbare Gegend fahren wir Richtung Süden und gelangen am späten Nachmittag nach Safi. Hier befindet sich die größte Töpferwarenproduktion Marokkos, und ehe wir‘s uns versehen, befinden wir uns schon wieder mitten in einem Verkaufsgespräch. Alex will Teller! Wir suchen acht Teller aus, für die wir 360 Dirham bezahlen sollen. Mich haut‘s fast um. Mein vorgeschlagener Preis ist 200 Dirham, Alex glaubt nicht dran, ich schon, am Ende kriegen wir die Teller um meinen Preis, na also! Ich bin schon zufrieden, aber Alex will noch einen Tajine Topf! Jetzt geht‘s ans Tauschen. Unsere Klamotten lösen nicht grad Begeisterung aus, aber um meinen alten Reitpulli und eine Flasche Rosé kriegen wir dann schließlich auch den Topf. Dem guardian, der brav auf unser Auto aufgepasst hat, gebe ich noch ein T-Shirt für seinen Sohn, und einem freundlichen Sahariw, mit dem ich mich unterhalte, während Alex einen Verkäufer wegen eines weiteren Tajine Topfs beinahe zur Weißglut treibt, noch ein Leiberl für seine Tochter. Eigentlich wollen wir noch nach Essaouira, aber es ist schon spät und so beschließen wir, die Nacht in Safi zu verbringen. Wir mieten uns im Hotel L‘Avenir ein und spazieren dann durch die Medina. Safi ist bekannt für Phosphat und vor allem für Sardinen, sodass wir beschließen, Fisch essen zu gehen. In den engen Gässchen der Medina finden wir kein einziges Restaurant und als ob uns die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben stünde, springt ein junger Bursche auf und geleitet uns in eine Art Fast Food Store auf marokkanisch – einen Laden, wo wir Sandwiches mit gut gewürzten Sardinen-Fleisch-Bällchen und Pommes kriegen, und das zum Einheimischen-Preis! Ahmed, unser unverhoffter food-guide und der Rest der Buden-Bande sind total nett und lustig und ein Scherzchen jagt das andere. Plötzlich zeigt uns Ahmed seinen Ausweis, mit dem er uns zu verstehen geben will, dass er Coiffeur ist und mit einem Deut auf Alex‘ Frisur noch ein kleines Geschäftchen mit uns machen will. Ich überrede Alex und einmal umgefallen, stehen wir mitten in Ahmeds Friseursalon, der aus einem orangen Sessel, einem Spiegel, ein paar Dosen, einer Soundmaschine und allerlei zusammengetragenem Kitsch besteht. Über dem Spiegel thront stolz sein Coiffeur-Diplom. Um 15 Dirham kriegt Alex einen Haarschnitt verpasst, mit dem man sich durchaus sehen lassen kann. Danach schließt Ahmed seinen Shop, wir verabschieden uns und ziehen frohen Mutes und um ein nettes Erlebnis reicher durch die Medina Richtung Hotel.

An diesem Abend beschließen wir, doch nicht nach Mauretanien zu fahren. Minen, Banden, angeblich unfreundliche Menschen, 1000 von Kilometern und unsere mangelnde Erfahrung mit der Wüste sprechen einfach dagegen. Ein bisschen traurig bin ich darüber, da ich dieses Land sehr gerne gesehen hätte. Aber so können wir Marokko intensiver erkunden und viele Erfahrungen hier sammeln, die wir vielleicht auf der nächsten Reise, die uns weiter südlich führt, gebrauchen können. Insha‘Allah!

Ich habe zum ersten Mal gut und ohne zu frieren geschlafen, da ich endlich die grandiose Idee hatte, meinen Schlafsack mit ins Hotel zu nehmen. Die Eindrücke aus den verschiedenen Medinas haben mein Gedächtnis offensichtlich nachhaltig geprägt, da ich die ganze Nacht davon geträumt habe. Ich war in den Gässchen unter unzähligen Menschen unterwegs, hab gehandelt, fotografiert und mich dabei wohl und sicher aufgehoben gefühlt. Manchmal war alles so aufregend, dass ich mehrmals davon aufgewacht bin. Einige Male hielt der Phosphat transportierende Zug mit lautem Gequietsche direkt vor unserem Fenster, aber Sekunden später war ich schon wieder in meiner Traum-Medina unterwegs.

Am Morgen tut sich uns ein herrlicher Blick aufs Meer auf, der Himmel rosa gefärbt, vor ihm in stoischer Ruhe die gewaltigen Fischkutter, die wohl wieder auf Sardinenjagd waren. Der Blick auf den Parkplatz ist auch herrlich: unser Fronti samt Sandblechen ist noch da, bestens bewacht vom guardian, der gemütlich an unserem Reserverad lehnt. Nach einem café au lait und omelette brechen wir auf Richtung Essaouira. Zuerst an der Sardinenfabrik und den Phosphat verarbeitenden Anlagen vorbei, nehmen wir dann die Küstenstraße, die sich kilometerlang an traumhaften Sandstränden und teils schon Dünenlandschaften entlang zieht. Immer wieder bieten sich uns wunderschöne Ausblicke auf den wilden Ansturm der gewaltigen Wellen des Atlantik. An einem schönen Aussichtspunkt darf der Fronti ein wenig offroaden und wir machen nun ein erstes Mal eine kleine Pause in meiner lang ersehnten Ruhe. Keine Menschenseele ist zu sehen, nur das Rauschen der Wellen zu hören. Plötzlich entdecken wir vier neugierige Kinderaugen, die sich nicht an uns heranwagen. Ich winke ihnen zu, das Mädchen traut sich zögerlich den Gruß zu erwidern. Ich finde diese zurückhaltende Art sehr lieb – auf die Zusammentreffen mit den Stadtkindern ist das mal was ganz anderes. Man merkt richtig, dass die Gegend hier sehr bäuerlich geprägt ist und sich Touristen wohl eher selten hierher verirren. Der Boden scheint sehr fruchtbar zu sein und obwohl das Leben wahrscheinlich trotzdem hart ist, finden die Menschen wohl ihr Auskommen.

Am frühen Nachmittag erreichen wir Essauoira. Ohne dass wir jedoch in die Stadt hineinfahren, suchen wir die ehemalige hippie-village Diabat, wo Jimi Hendrix, Bob Marley und die Doors ihre Spuren hinterlassen haben. Alex will unbedingt zu den Ruinen irgendeiner versunkenen Stadt, aber auch die Ruinen scheinen mittlerweile versunken, denn wir finden sie nicht. Dafür begegnen wir am Strand einem Sahari samt Dromedar namens Capuccino und Hassan, der einen wunderschönen Berberhengst reitet und mir gleich seine Telefonnummer gibt für eine etwaige promenade au cheval mit ihm.

Heute campen wir zum ersten Mal. In Diabat finden wir eine gemütliche Auberge, wo wir unser Zelt aufstellen dürfen. Rundherum ist es ruhig, endlich keine Übernachtung in der Stadt! In Essaouira sind wir binnen Sekunden wieder mitten im Geschehen. Auf dem Suq kaufen wir (viel zu teure) Datteln, Gewürze und Zutaten fürs Cous Cous. Heute ist Freitag und ich will endlich Cous Cous! Ehe wir’s uns versehen, landen wir im Laden von Azziz, unübersehbar ein fanatischer Anhänger von Che Guevara. Azziz hält uns sogleich einen inbrünstigen Vortrag über seinen verehrten Meister, mal auf Französisch, mal auf Spanisch, und schon sind wir wenig später in Gespräche über Gewürze und ambre (Amber) verwickelt. Wir trinken noch Tee mit Azziz und unterhalten uns. Nach etwa zwei Stunden verlassen wir mit Gewürzen, Amber und Henna im Sackerl das Geschäft. Essauoira kann nicht verbergen, dass es sehr touristisch ist, denn überall werden wir angequatscht und wenn wir nur schauen oder fotografieren wollen, aber nichts kaufen, gibt es gleich die ärgsten Diskussionen. Außer bei Hakkim im Laden, da ist alles noch ganz locker. Ich erhalte Erklärungen über Purpur, Indigo und allerlei Gewürze und nachher ist mit einem shukran und bislhama alles erledigt. Auf dem Nachhauseweg bleiben wir nochmal kurz hängen und zwar in einer Nähstube, wo vier Männer damit beschäftigt sind, eine Djellabah zu nähen. Der eine hält zwei Fäden in jeder Hand, die er geschickt hin und her wechselt, während ein anderer am Ende der Fäden diese in das Kleidungsstück einnäht. Wir dürfen auch einmal probieren, müssen allerdings sogleich feststellen, dass das gar nicht so einfach ist. Lustige Burschen, diese Näher!

Es ist schon längst dunkel, als wir endlich zurück sind auf dem Campingplatz. Ich schneide das Gemüse, Alex bereitet alles andere Notwendige fürs heiß ersehnte Cous Cous. Während es in den Töpfen vor uns dahinbrutzelt, erfahren wir aus unserem Reiseführer, dass man beim Amber-Kauf oft aufs Kreuz gelegt wird, indem man einen Klumpen Wachs verkauft bekommt, der nur von außen mit dem Duftstoff eingerieben ist. Mir schwant Schlimmes! Als wir meinen Amber-Klumpen auseinander schneiden, bestätigt sich unser Verdacht: Die Duftintensität verschwindet beinahe gänzlich und das Material verhält sich verdächtig nach Wachs. Azziz, unser Kommunist, hat mich voll reingelegt!

Davon lassen wir uns aber auf keinen Fall den Appetit aufs Cous Cous verderben, das nun endlich fertig ist und wir mit unseren Fingern verspeisen. Leider ist es noch immer ziemlich windig und unser romantisches Kerzenlicht geht ständig aus, aber so ein ruhiger Abend hat schon was. Es ist recht kühl und irgendwie fehlt das wärmende Lagerfeuer. Erst im Schlafsack ist mir dann lauschig warm … an einen Traum kann ich mich nicht erinnern.

„Sand! Überall Sand!!“ Ich versteh gar nicht, was Alex hat!? Doch dann sehe ich das Malheur – die Seite, auf der er geschlafen hat, einschließlich er selber, sind von einer nicht zu unterschätzenden Sandschicht bedeckt. Der wieder aufgekommene Wind hat ganze Arbeit geleistet und unser offensichtlich nicht dichtes Zelt hat den Rest dazu getan. Wir beschließen, dass ein Frühstück im Café Hendrix mit einem omelette aux tomates und einem ordentlichen Kaffee jetzt eine gute Idee wäre. Wir sitzen in der Sonne und schreiben Tagebuch, umringt von neugierigen Hunden, die sich zu unseren Füßen legen. 

Ich weiß nicht, ob ich mit Hassan ausreiten gehen soll, wäre schon cool, auf richtigen Berber-Pferden, am Strand, mal sehen …

Wir entscheiden uns dann doch dafür, in die Stadt zu fahren. Essaouira ist wahrlich ein hübscher Ort. Überall hängen farbige Teppiche und andere bunte Waren, die der reinste Augenschmaus sind, un plaisir pour les yeux! Die Enge der Gassen vermittelt irgendwie den gefühlten Eindruck des „Drinnenseins“, als wäre alles verpackt in einer riesigen Schachtel, innerhalb der das Leben brodelt. Mir kommt alles so märchenhaft vor, nicht nur einmal drängt sich in mir die Erinnerung an Tausend und eine Nacht auf. Am Hafen begegnen wir einem Targi (das behauptet er zumindest von sich selbst), der meinen Arm an sich reißt und mir drei Silberreifen verpasst. Mir scheint das Material von guter Qualität zu sein, sehr schön verziert mit Touareg Symbolik: das Auge Fatimas gegen böse Blicke, die Sonne für Glück im Leben und die Hand Fatimas für Gesundheit und Kindersegen. Während er mir all das immer wieder erklärt, reibt er mir die drei Reifen so fest über den Arm, dass mir schon alles weh tut. Das gehört anscheinend zum Verkaufsgespräch mit dazu. Er will 500 Dirham, das kann ich ehrlich gesagt nicht bezahlen. Am Ende einigen wir uns auf 200 Dirham und er bekommt noch ein Hemd von Alex dazu. Beide Seiten sind zufrieden. Ich habe mal wo gelesen, dass beim Handeln immer die dritte Runde gilt … das scheint zu stimmen.

Anschließend verschlägt es uns in die Fisch Auktionshalle und Alex ist schon wieder voll in seinem Element. Wir lernen Azziz kennen, der 3 kg Fisch um 140 Dirham ersteigert hat. Er lässt sich samt ersteigerter Beute von uns fotografieren, die jetzt nach Casablanca und von dort aus weiter nach Europa geht. Na dann hoffe ich mal, dass die schnell machen! Obwohl in der Halle ein riesiges Schild hängt mit der Aufschrift „Ne pas manger, ne pas boire, ne pas cracher, ne pas fumer!“ zündet sich Azziz eine an und wir sind schon wieder zum Tee eingeladen. Laut Azziz dürfen wir wohl auch spucken, denn auf unsere Frage nach dem Schild erklärt er uns: „On fait tout ici!“

Am Hafen kann ich endlich ein paar Fotos machen! Dort ist so viel Leben und ich kann mit dem Telezoom sogar ein paar Menschen aufnehmen. Im Auge haben sie einen fast immer, aber die Männer nehmen das Fotografieren nicht so tragisch, die Frauen hingegen kriegen die absolute Krise.

Am Abend essen wir im Restaurant „Les Amies“ ein wenig schmackhaftes Cous Cous, dafür ist das Ambiente genial: überall hängen modern-abstrakte Kunstwerke, die aus dem Restaurant ein einziges Atelier machen. Der Künstler selbst ist auch zugleich der Koch und die Bedienung.

Zweite sandige Nacht auf dem Camping Tangano …

Zum Frühstück gibt es heute Kaffee und Croissant direkt am wunderschönen Strand von Essaouira, wo wir in der Sonne sitzen, aufs Meer schauen, Tagebuch schreiben und den Moment des unbeschwerten Daseins genießen. Ich rufe dann doch Hassan an und vereinbare einen Ausritt mit ihm. Eigentlich hat mich Alex dazu überredet, weil ich mich wieder einmal nicht entscheiden konnte. Doch wenn ich mir schon den Traum von einem Strandritt auf einem Berberhengst erfüllen will, dann wohl am besten hier und jetzt!

Wir suchen uns in der Stadt ein kleines Hotel, weil wir uns heute mal wieder sanieren müssen und auf dem Camp gibt es nur kalte Duschen. Bis nachmittags verbringen wir eine erholsame Zeit in Diabat am Strand. Zwei berittene Polizisten leisten uns ein wenig Gesellschaft und überbrücken ihre offensichtliche Langeweile mit angeregter Kommunikation. Ich erfahre, dass Fell mit „la robe“ übersetzt wird, ein Schimmel ein „gris“ ist und ein Fuchs ein „alazan“. Und falls ich mal bezüglich Pferde etwas bräuchte, bekomme ich von der police höchstpersönlich ihre eMail Adresse. Auf meine bewundernden Blicke für die Pferde reagierend, wird noch ein wenig vor uns auf und ab und hin und her geritten, bevor mit einen bon voyage! das Schauspiel zu Ende geht. 

Vor dem Café Hendrix steht bereits Hassan mit drei Pferden bereit. Nachdem wir ihm erklärt haben, dass Alex nicht reiten will, wird der Schimmel zurück gebracht und ich darf Zin besteigen, einen vierjährigen Berberhengst, auf dem wir Hassan vor zwei Tagen kennengelernt haben. 

Zin ist ein heller Fuchs mit dicker, kurzer Mähne, einer breiten Blesse, einem starken, aber noch kleinen, jugendhaften Körperbau und viel orientalischer Ausstrahlung. Ich vereinbare mit Hassan den Preis und dann geht es los.

Ich fühle mich sofort wohl auf dem zierlichen Zin. Seine Statur und sein ganzes Gehabe erinnern mich an meine Araberstute Waddhia. Er kaut unaufhörlich auf der Trense, trägt den Hals schön rund und reagiert wohlwollend auf meine Anweisungen. Nur wenn ihm Zweige voller schmackhafter Blätter vor die Nase hängen, kann er nicht widerstehen und vergräbt sein Maul darin. 

Hassan und ich unterhalten uns prächtig. Ich erfahre, dass er aus Agadir stammt, wo er zuerst in einem Leder-, später in einem Sportwarengeschäft gearbeitet hat. Er erklärt mir Kochrezepte und wie es auf den einwöchigen Reittouren zugeht. Zwischendurch zeigt mir Zin immer wieder, dass er ein ungestümer, junger Hengst sein kann. Er springt wie ein Ziegenbock mit allen Vieren gleichzeitig in die Luft und praktiziert diverse Blitzstarts. Noch sind wir allerdings im Wald unterwegs und ich frage mich nicht ohne leichte Beunruhigung, wie das wohl unten am Strand werden wird ..? Nach ca. eineinhalb Stunden erreichen wir die Dünen, von wo aus wir einen traumhaften Blick aufs Meer und die im Untergehen begriffene Sonne haben. Ich kann schwer in Worte fassen, was ich angesichts so viel Natur-Schönheit empfinde … die Dünen, die untergehende Sonne, ein feuriges Ross unter mir, der Wind pfeift mir um die Ohren und Hassans indigoblauer Turban, der sich leicht gelöst hat und nun vor mir hin und her weht – märchenhafter könnte die Szene nicht sein!

Zin steigt nervös mit dem Kopf schlagend die Dünen zum Meer hinunter und ich spüre, wie das Feuer in ihm brodelt, der Wind ihn anheizt und ich kurz davor bin, ihn nicht mehr halten zu können. Er springt und tänzelt und will nur eines: dass ich endlich die Zügel freigebe und ihn laufen lasse! Wenn ich das jedoch tue, weiß ich nicht, ob ich ihn jemals wieder stoppen kann.

Hassan hat immer ein besorgtes Auge auf mich und hält Mansur, seinen wunderschönen roten Fuchs etwas zurück. Ich kämpfe mit Zin zwischen Trab und Galopp. Der weite Strand breitet sich nun vor uns aus, der Wind peitscht uns das Wasser der herankommenden Wellen entgegen, wodurch mir Zins Bewegungen noch schneller erscheinen.

Hassan entscheidet irgendwann, dass Zin und ich nun genug geübt haben und gibt für Mansur die Zügel frei. Zin ist nun nicht mehr zu halten und als Mansur mit einer Geschwindigkeit, die ich bisher nicht mit Pferden assoziiert hatte, vorbeizieht, gebe ich auf und lasse Zin fliegen! Tränen laufen mir aus den Augen und aus der Nase, mein kleiner Hengst kämpft gegen den Wind … endlich darf er laufen, und er tut es, als wäre der Teufel hinter ihm her. Wer hätte gedacht, dass ein so zartes Pferd so rennen kann! Gegen Mansur hat er jedoch keine Chance, aber er ist ja auch noch ein Kleiner …

Nach ein paar Minuten sind die drückendsten Energien draußen und wir befinden uns in einem angenehmen Galopp. Mittlerweile haben wir auch wieder zu Mansur und Hassan aufgeschlossen und genießen nun zu viert diesen Ritt durch die Elemente. Zin schwitzt und schnaubt, aber er weiß ganz genau, dass er noch laufen darf, bis die Abzweigung zum Stall kommt. Der Himmel färbt sich bereits rot, das Wasser glänzt metallisch blau und spritzt an den Pferdebeinen hoch. Zin und ich sind eins geworden. Vom Wind getragen donnern seine Hufe über den harten Sand und mit weit aufgeblähten Nüstern fliegt er über das Wasser und trägt mich der hereinbrechenden Nacht entgegen.

Als wir das letzte Stück im Schritt nach Hause reiten, kann ich meine Begeisterung nur schwer vor Hassan verbergen. Ihm hat es offensichtlich auch gefallen, denn er grinst über das ganze Gesicht. Es ist mittlerweile fast dunkel, die Pferde kauen genüsslich auf ihrem wohl verdienten Heu und ich verabschiede mich von Zin, Mansur und Hassan. Und Alex falle ich um den Hals und bedanke mich bei ihm, dass er mich dazu überredet hat, doch noch auszureiten. In einem Alki-Shop kaufen wir uns ein Bier, das wir gleich an Ort und Stelle trinken, und gehen dann noch Fisch essen, bevor ich todmüde auf meine Isomatte falle. Einschlafen kann ich allerdings noch lange nicht, weil ich noch über diesen Nachmittag nachdenke. So etwas Besonderes erlebt man selten, deshalb macht es mich umso glücklicher, dass ich es mit so einer Intensität habe erfahren dürfen. Gute Nacht, zauberhaftes Marokko! Und danke, Zin!

Fortsetzung folgt …

8 Antworten auf „Teil 1 – Willkommen in Marokko“

Liebe Julia! Genial! Du hattest recht man sieht förmlich den „Film“ ablaufen. Toll auch, dass du mit Alex einen Partner an der Seite hattest, der deine Träume verstand und teilte. Bin schon gespannt auf die Fortsetzung. ? Christa

Liebe Julia, du hast einfach das Talent deine Abenteuer und Worte so zu Papier zu bringen als wäre man dabei, das ist ein wunderbares Gefühl und ich freue mich schon auf die Fortsetzung …..

Toll, Julia, schön zu lesen! Man fühlt sich gleich mitgenommen und das finde ich super in dieser beängstigenden Zeit.

Liebe Julia, ganz herzlichen Dank für diesen wunderbaren Reisebericht, der in mir viele Bilder meiner eigenen Marokkoreise wieder aufleben liess. Ich freue mich auf deine weiteren Beiträge.

Gerda

Liebe Julia, angenehm zu lesen, so eine gute Idee von dir! Da ich selbst auch schon in Marokko war, freu ich mich besonders auf die Fortsetzung! Lb gr Angelika

Hallo Julia,
ich finde es fast toll, dass da keine (oder nur 2) Bilder sind 😉 Die Phantasie hat freien Lauf, und bei der Lebendigkeit deines Berichtes ist es nicht schwer, eigene Bilder zu finden. Total schön!

Ganz lieben Gruss von Esther

Ooohhh, so schön!!! Der Ritt am Strand…..Wunderschön! Ganz schön mutig in dem Land Auto zu fahren, ich würde es mich nicht (zu)trauen! Ein toller Reisebericht über eine aussergewöhnliche Reise!!!

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