Noch knappe 70 km sind es bis Foum Zgid, eine mir nicht so recht sympathische Wüstenoase, wo wir unsere Vorräte auffüllen und von wo aus wir die im Reiseführer beschriebene Wüstenpiste nach Mhamid nehmen.
Ich glaube, ich bin mir noch nicht so bewusst, worauf wir uns da einlassen. Auf den ersten 5 km beginne ich aber dann, mich damit auseinanderzusetzen. Wir fahren durch eine endlos weite Hammada über eine extrem steinige Piste, die maximal 20 km/h Fahrgeschwindigkeit zulässt. Ich versuche unser Auto so sanft wie möglich über den steinigen Untergrund hinweg zu hieven und sämtliche Gedanken an den geflickten Reifen und das knackende Allradgetriebe aus meinem Kopf zu vertreiben. Einsam ist es hier, keine Menschenseele zu sehen. Im Schritttempo kämpfen wir uns durch die Oueds und kaum vorstellbar sitzen wir nur ein einziges Mal ein wenig auf. Nach 30 km und dreieinhalb Stunden Fahrt erreichen wir den lang ersehnten Militärposten. Einsam auf einem Hügel liegend sieht man ihn schon von Weitem und ich frage mich, wer wohl so unbeliebt sein kann, dass er hierher versetzt wird.
Unbeliebt oder gar unfreundlich ist der Herr vom Militär aber ganz und gar nicht! Entgegen meiner Erwartungen joggt ein junger, gut gebauter Marokkaner im Trainingsanzug den Pfad herunter und will schmunzelnd von uns wissen, wieso wir uns „sowas“ antun. Als würde er aber die Antwort der Ruhe suchenden Wüstenfreaks schon kennen, fährt er unbehelligt fort, unsere Daten aufzuzeichnen. Nachher bittet er uns, seinen Alltag etwas aufzulockern, und fährt mit uns zu einem Platz, wo eine Menge Fossilien zu sehen sind. Dann folgen das übliche Foto, der Adressenaustausch und die Bitte, das Foto zu schicken. Laut Driss haben wir den schlimmsten Teil der Strecke bereits geschafft und wahrhaftig tut sich nach kurzer Weiterfahrt eine Landschaft vor uns auf, die einem Märchen entliehen zu sein scheint. Eine endlose Weite, überzogen von einem blutroten Blumenmeer, strahlt wie ein funkelnder Diamant im Licht der untergehenden Sonne. Der Boden ist fest, sodass wir unserem Fronti freie Fahrt geben können. Wir rauschen mit etwas Wehmut über die Blütenpracht hinweg, aber doch von einer alles erfüllenden Euphorie angetrieben, auf die wir nach der steinigen Anfahrt nicht mehr zu hoffen gewagt haben. In unserem Rücken geht die Sonne genau hinter einem Tafelberg unter, vor uns glüht der Boden. Wir wollen noch bis an die Dünen da vorne gelangen, es wird schon dunkel, wir geben Gas …

Auf der ausgemachten Düne entdecken wir plötzlich Gestalten, Touristen! Eine organisierte Land Rover Tour. Egal. Wir fahren hinter die nächste Düne und endlich … absolute Stille. Der Sand färbt sich rosa, der Himmel pastellfarben. Wir können kaum glauben, wo wir heute sind! Auf einer kleinen ausgetrockneten Lehmpfanne, mitten im inzwischen ausgetrockneten Lac Iriki, umgeben von meterhohen Sanddünen lagern wir heute. Als dann noch der volle Mond über den Dünenrand hinweg aufgeht, muss ich niederknien vor der Schönheit des Augenblicks. Gedanken an den Tschad kommen in mir auf, dieser Platz erinnert mich sehr an die Übernachtungen dort. Niemals habe ich im Tschad in einem Zelt geschlafen, sondern immer unter freiem Himmel, das möchte ich heute auch. Alex muss ich zwar noch dazu überreden, aber dann sieht auch er ein, dass die Verdeckung dieser Nacht durch ein Zeltdach der reinste Frevel an diesem Erlebnis wäre. Der helle Mond lässt in keiner Sekunde der Nacht die Konturen der Dünenlandschaft verschwinden, es ist der wunderschönste Traum, den ich seit Langem geträumt habe.

Die Sonne kitzelt mich an der Nase … nach einem ausgedehnten Frühstück machen wir uns auf den Weg, ein wenig aufgeregt, denn die Strecke durch die Dünen liegt heute vor uns. Mit dem GPS Gerät in der Hand gehen wir die Sache zunächst recht zuversichtlich an. Wir müssen den Oued finden und Spuren, denen man halbwegs folgen kann. Aber da sind so viele Spuren und das GPS gibt an, dass unser Punkt dort drüben liegt – mitten in den Dünen! Das kann doch nicht sein! Irgendwann finden wir den Oued, aber keine passable Piste. Wir scheinen im Kreis zu fahren, finden keinen rechten Weg. Bevor panikartige Zustände in uns aufkommen können, treffen wir einen Nomaden, den wir nach dem Weg fragen.

Er meint, durch die Dünen sei nicht so gut, „trop du sable!“, und zeigt in Richtung der steinigen Hauptpiste nach Tagounite. Bevor wir etwas enttäuscht diese nehmen, tun wir noch etwas Gutes und verschenken Kleidung an die Nomadenkinder.

Holprig geht‘s nun wieder weiter, aber wenigstens geht‘s weiter. Zu unserer Linken ziehen sich im Respektabstand die Dünen dem Horizont entlang – zähneknirschend holpern wir weiter. Irgendwann ist die Neugierde allerdings doch zu groß und wir zweigen nach links von der Piste ab. Zuerst ist es steinig, dann manövrieren wir den Fronti durch eine sandige Passage. Ein Kamelhirte ist Indikator für die richtige Richtung und posiert sogar samt Kamel für die Kamera.

Schließlich gelangen wir auf ein Bergplateau, das wieder Teil der beschriebenen Route ist. Zufrieden erreichen wir die Oase Oum Lala, wo mir die Ehre zuteil wird, ein Tags zuvor geborenes Gazellenbaby in Armen halten zu dürfen und wo wir zur Feier des Tages um stolze 120 Dirham eine Flasche Rotwein erstehen. Was soll der Geiz! Schließlich muss so ein Wüstenerlebnis angemessen gefeiert werden.

Nach Oum Lala kitzelt noch kurz eine Oued Durchquerung unsere Nerven, bevor wir am Ende des letzten Hammadaabschnitts die Dünen von Mhamid erreichen. Noch wissen wir nicht, ob wir diese morgen durchfahren können, eine Piste ist bislang nicht in Sicht.
Hinter deutlich kleineren Dünen als die Nacht zuvor parken wir unser Auto und lassen es für heute erstmal gut sein. Morgen wollen wir schauen, ob wir den Fronti da irgendwie druchkriegen, da wir unbedingt von der Wüste her kommend in Mhamid einfahren wollen. In der Dunkelheit hören wir, wie sich ein Fahrzeug durch die Dünen wühlt, wir können ein wenig den Lichtern folgen … dort drüben liegt also Mhamid! Alex hat einen dicken Holzprügel gefunden für ein lang anhaltendes Lagerfeuer, wir schlafen wieder unter freiem Himmel.
Am nächsten Morgen schauen wir uns nach einem möglichen Weg durch die Dünen um. Es gibt offensichtlich immer einen Weg, man muss ihn nur (er)kennen! Wir schaffen es gut bis zum Oued hinaus, dann fahren wir abwechselnd frontal auf bebaute Felder oder auf Dünen zu. Es ist wie verhext, ein großes Labyrinth! Wir versuchen die Spur zu finden, die der LKW, der heute Morgen an uns vorbeigefahren ist, gelegt haben muss. Immer wieder folgen wir vermeintlich gut ausgefahrenen Spuren, die jedoch entweder in einer Düne enden oder sich sonst wo verlaufen. Schließlich steuern wir ein Häuschen an, wo gleich zwei lustige Männer ihre Hilfe anbieten wollen. Beide deuten und zeichnen auf den Boden und wollen uns damit sagen, dass diese sich hier unter ihren Füßen befindlichen LKW-Spuren nach Mhamid führen. Wir bedanken uns und verfolgen, unsere Augen auf den Boden geheftet, den ausgewiesenen „roten Faden“. Und siehe da, wir finden eine zwar sandige, aber gut ausgefahrene Piste, die nun nicht mehr zu verlieren ist und uns in abenteuerlichem Offroad bis nach Mhamid führt.
Dort angekommen nehmen wir in einem (Touri)Berberzelt eine Einladung zum Tee an, bevor wir stolz auf unseren Fronti und auf uns selbst ins Zentrum von Mhamid einfahren. Knapp 200 km sind wir seit Foum Zgid gefahren – nur im Gelände und in der bisher einsamsten Gegend. Vor lauter Aufregung und Tatendrang fahren wir gleich weiter, anstatt noch etwas Zeit in Mhamid zu verbringen, wo es wunderschön ist und wir die Wüstenerlebnisse noch einmal in aller Ruhe Revue passieren hätten lassen können. Aber Alex und ich sind innerlich so aufgedreht, dass keiner von uns die Bremse zieht und so fahren wir weiter nach Tamegroute.
TAMEGROUTE
Dort landen wir schnurstracks im Shop von Tarik und Mustafa. Ich weiß nicht, wie diese Typen das immer anstellen, aber schon wieder befinden wir uns mitten in Verkaufsverhandlungen. Am Ende kriegen wir einen Tajinetopf, ein Kreuz-des-Südens-Ketterl, einen silbernen Halsreif und einen Armreif. Mustafa bekommt eine kleine Flasche Schnaps, meinen Walkman, zwei T-Shirts und 175 Dirham. Außerdem wollen die beiden neu gewonnen Freunde, dass wir dableiben, weil im Dorf geheiratet wird und wir das unbedingt sehen müssen. Mir sitzt zwar noch das Erlebnis mit Brahim im Nacken, aber Alex kann mich schließlich zum Dableiben überreden. Vor Tamegroute erhebt sich einsam eine riesige Düne – dort organisieren wir uns vorher noch in einem Berber-Tent eine Übernachtung.

Ganz ungezwungen sind wir mit Mustafa und Tarik unterwegs. Zuerst verstehe ich das „System“ nicht ganz: überall wird gefeiert und es sind verschiedene Bräute zu bewundern. Heute ist der dritte Tag der Hochzeit, heute sollen die frisch Vermählten ihre Jungfräulichkeit verlieren. Die Frauen, die Haare sträubend dekoriert sind, sitzen in Zimmern, in denen sie angeblich sieben Tage lang bleiben, zusammen mit anderen Frauen, und schauen, ich kann es nicht anders sagen, irgendwie verschreckt aus. Ich weiß ja nicht, wie jungfräulich sie noch sind, auf jeden Fall sind sie es morgen, so will es zumindest der Kodex, nicht mehr. Allmählich erschließen sich mir mehr Informationen. In diesem Haus, wo wir sozusagen zu Gast sind, heiraten diese Woche drei Brüder gleichzeitig. So spart sich der Vater wahrscheinlich Geld und Nerven, da er den ganzen Rummel nur einmal veranstalten muss. Einer der Brüder möchte sich gleich mich reservieren als seine Zweitfrau. Ich lehne mit Verweis auf die europäischen Sitten und Gebräuche dankend ab.
Als einzige Frau sitze ich zusammen mit ungefähr vierzig Männern und Jungs auf dem Boden in einem einfachen Raum. Es wird gesungen, getanzt und geklatscht, einige Gäste trommeln und machen Musik. Ein Treiben ist das hier – und alles ganz ungezwungen, allerdings strengstens Geschlechter getrennt mit einer einzigen Ausnahme 😉 Man(n) begrüßt sich stürmisch, alle klopfen sich gegenseitig auf die Schultern, zwischendurch kümmern sie sich liebevoll um die Kleinsten. Und keiner scheint ein Problem damit zu haben, dass sich eine Frau unter ihnen befindet. Wir dürfen sogar fotografieren! Skurril finden Alex und ich, dass sich mitten in dem ganzen Treiben plötzlich ein einziger Mann Richtung Osten wendet und zu beten beginnt. Außer uns beiden scheint das hier jedoch niemand ungewöhnlich zu finden.

Nachdem wir Tajine gegessen haben, dürfen wir uns ganz ungezwungen verabschieden. Wir folgen Tarik und Mustafa und wundern uns über die Unkompliziertheit, mit der unser Auftauchen auf dem Fest, unser Teilhaben am Feiern und am Mahl und unser schneller Abgang hingenommen werden. Es hätte mir nichts ausgemacht, wenn wir noch etwas geblieben wären, denn ich habe mich in der Runde sehr wohl und akzeptiert gefühlt. Doch Mustafa scheint plötzlich total rastlos und bald wissen wir auch warum: die Flasche Schnaps, die er heute von uns bekommen hat, ist schon fast leer. Bei Tarik ist keine negative Wirkung festzustellen, Mustafa hingegen hat einen selten ungeduldig aggressiven Tonfall in seiner Stimme. Wir gehen ein wenig spazieren und landen im „quartier les esclaves“ (jene Schwarzen, die sich als Nachkommen der Sklaven verstehen und heute noch von den Einheimischen „les esclaves“ genannt werden), wo auch geheiratet wird und deshalb heute eine Band spielt. Mit der Zeit kommen immer mehr Leute, sodass die Gasse bald zum Bersten vollgestopft ist mit Menschen. Die Stimmung ist gut, die Musik wäre ebenfalls gut, wenn einem nicht diese ständigen Rückkoppelungen die Ohren zerreißen würden. Wir schließen Freundschaft mit einem kleinen schwarzen Jungen, der total süß und vor allem von Alex besonders angetan ist … die Nacht ist noch jung.

Am Morgen gehe ich zuerst ein paar Kamele fotografieren, welche hier ihr Lager haben, für reitwillige Touristen. Während wir unsere Morgentoilette machen, stehen wir unter strengster Bewachung: sechs Hunde umzingeln uns neugierig und weichen uns nicht mehr von der Seite. In Tamegroute schauen wir uns noch die Zawia an, ein Mausoleum, in dessen Innenhof kranke Menschen oft monatelang verharren und auf ein heilendes Wunder warten. Nachher folgen wir dem wunderschöne Drâa-Tal, vorerst bis Zagora. Es ist wieder mal an der Zeit, sich zu sanieren. Im Hamam lasse ich mich diesmal auf eine Massage ein – das hätte ich besser nicht tun sollen! Die „Massage-Frau“ schrubbt mich so fest und so lange, bis mein Waschhandschuh drei Löcher hat und sich meine Haut abschält. Was sie dann mit der Plastikbürste in meinen Haaren macht, ist wohl der Albtraum eines jeden europäischen Frisörs. Am Ende drückt sie mich mit dem Gesicht auf den Boden und zieht an meinen Gliedmaßen. Sie wollte wohl meine Verspannungen lösen, ob sie das damit erreicht hat, wage ich stark zu bezweifeln. Jedenfalls bin ich nachher so benebelt, dass ich mir doch glatt einreden lasse, dass die Frau normalerweise zwischen 15 und 20 Dirham Trinkgeld erhält. Vor lauter Schreck gebe ich 10 Dirham, das wahrscheinlich das Fünffache des Normaltarifs ist. Auch Alex hatte nicht die größte Freude in „seinem“ Hamam.
Zagora ist total touristisch, sozusagen das touristische Zentrum des Drâa-Tals, das kriegt man gleich zu spüren. Wir kaufen noch ein paar Lebensmittel ein und dann nichts wie weg! Fürs erste Stück entscheiden wir uns heute für die Piste, die über Benizouli führt, ein total netter Weg, an Palmenhainen vorbei und immer ein wenig auf und ab – wir schaukeln und kurven so richtig gemütlich durch die Landschaft.
Leider ziehen nachmittags Wolken auf, sodass ich keine schönen Fotos von den Kasbahs des Drâa-Tals machen kann. Bei Tin-Zoulin machen wir einen 7 km Abstecher über eine ziemlich steinige Piste zu Felsgravuren. Zuerst suchen wir vergebens, doch dann werden wir Oued aufwärts fündig. Schon beeindruckend, wie lange diese Gravuren dort bereits vorhanden sind, umso mehr kann es mich aufregen, dass an vielen Stelle einfach darüber gekritzelt wurde.
Wir wollen eigentlich noch bis Tazzarine, es ist aber schon spät, sodass wir einige Kilometer vorher neben der Straße hinter einem Felsen unser Lager aufschlagen. Wir befinden uns wieder in den Bergen, an den Ausläufern des Jbel Sarhro. Es ist recht kühl, sodass wir heute wieder unser Zelt aufstellen.
Am nächsten Morgen nehmen wir die Asphaltstraße nach Erfoud. In Rissani machen wir noch kurz Halt und trinken Kaffee, unterhalten werden wir dabei von einem redseligen Mauretanier. Über Erfoud hängen Wolken, aber regnen will es nicht. Wir mieten uns im rosaroten Hotel La Gazelle ein und Alex wäscht unsere Wäsche. Ich darf währenddessen jammernd und bewegungslos auf dem Bett liegen, da ich unglaubliche Verspannungsschmerzen im Nackenbereich habe. Vom Kopf zieht es mir über die Schultern bis hinunter zu den Ellenbogen. Während ich mich kaum rühren kann, hält Alex nicht inne, unaufhaltsam auf die Massage-Frau zu schimpfen.
Erfoud ist ein sympathisches Städtchen mit einem netten, kleinen Suq und gewaltigen Souvenirläden, die wie kleine Schatzkammern aussehen. Für meine Oma kaufe ich eine Kette und habe offensichtlich gut verhandelt, wenn ich den entgeisterten Gesichtsausdruck des Verkäufers richtig interpretiere.

In einem Fossiliengeschäft trifft Alex Youssef wieder, den er vor zwei Jahren kennengelernt hat. Wie verabreden uns für morgen mit ihm, er will uns den Weg hinter die Dünen des Erg Chebbi zeigen will. Heute kommen wir noch bis zum ausgetrockneten Lac Yasmina. Schön anzusehen, wie sich am Rande der schwarzgefärbten Hammada die riesigen roten Dünen des Erg Chebbi erheben. Wie ein riesengroßer Sandhaufen ragen sie in die Höhe. Zwischen einigen kleineren Dünen bahnen wir uns den Weg zu unserer heutigen Schlafstätte. Bei Sonnenuntergang bekommen wir noch Besuch von einem Nomaden, der sich mit seinem Mountainbike über die Dünen kämpft. Wir schlafen wieder unter freiem Himmel, im Schoße des Erg …

Gegen halb 11 sind wir bei Youssef im Laden und beginnen die Tour bei einer Abbaustelle für Fossilien. Die Felsen sind nichts anderes als ein riesiges, versteinertes Korallenriff, wo heute in harter Arbeit die begehrten „fleurs de la mer“ abgebaut werden. Einige Meter tief unter der Erde suchen die Männer nach den Zeugnissen der Erdgeschichte, welche dann in alle Teile Marokkos verkauft werden. Ob versteinerte Würmer, Schildkröten oder Meerespflanzen – dieser Boden birgt wahre Schätze. Youssef ist ein ruhiger, angenehmer Typ, manchmal so ruhig und in sich gekehrt, dass ich das Gefühl habe, es geht ihm nicht gut. Den Weg hinter die Dünen kennt er auf jeden Fall in und auswendig. Im Großen und Ganzen ist die Strecke kein Problem und auch die sandigen Passagen im und aus dem Oued hinaus packen wir gut. Während der Fahrt speichert Alex immer wieder einige Koordinaten im GPS Gerät ab, da wir die Gegend in den kommenden Tagen alleine noch etwas erkunden wollen.
Über Khemliya erreichen wir schließlich Merzouga und somit jenes Gebiet des Erg Chebbi, wo wieder alle Touristen hinkommen. Youssef möchte hier bleiben, was uns sehr gelegen kommt, weil die Sonne schon im Begriff ist unterzugehen und wir noch keinen Platz zum Lagern ausfindig gemacht haben. Unweit von Khemliya finden wir dann ein nettes Plätzchen unter einem großen Baum. Zwischen den Dünen sind noch überall die Spuren der Paris Dakar zu sehen …
KHEMLIYA
Heute fahren wir zurück nach Khemliya, um die hommes blancs, die eigentlich schwarz sind und nur so heißen, weil sie schneeweiße Djellabahs tragen, aufzusuchen. Wir müssen uns auch nicht lange bemühen sie zu finden, denn herumkurvende Touristen-Autos erregen sofort sämtliche Aufmerksamkeit und so werden wir wie alte Bekannte offen und herzlich begrüßt.
Wir werden durchs Haus geführt, durch sämtliche Räumlichkeiten geschleust, bevor wir uns im Empfangsraum niedersitzen dürfen und Tee serviert bekommen. Die „weißen Männer“ sind Musiker, die Gnowa-Musik machen und sich „Pigeons du sable“ nennen. Natürlich bekommen wir auch eine musikalische Kostprobe: Kastagnetten, Trommeln, Gitarre, Gesang und Tanz wissen sie harmonisch miteinander zu kombinieren. Gnowa hat was unheimlich Beruhigendes und wirkt auf mich irgendwie sedativ. Nach der Vorstellung kaufen wir ihnen eine CD ab und können die Einladung nicht ausschlagen, heute Abend wiederzukommen, mit ihnen zu essen und unter „ihren Palmen“ zu schlafen.
Am Nachmittag fahren wir aber noch zu dem See außerhalb Merzougas, der sich nach genügend Regen bildet. Dort angekommen stürmen auch schon zwei Männer in Djellabah und Shesh auf ihren Fahrrädern auf uns zu. „Ausnahmsweise“ hätten sie mal Fossilien zu verkaufen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die beiden was anzubieten haben, was wir nicht schon längst in unserem Auto mitführen, und so kann ich es kaum glauben, dass die beiden etwas haben, was Alex interessiert. Ich versuche inzwischen, die im See vor einer riesigen Düne stehenden Flamingos heranzuzoomen (was nicht wirklich gelingt), während Alex sein Tauschgeschäft abwickelt.
In der Dunkelheit nach Khemliya zurückzufinden, stellt sich als gar nicht so einfach heraus. Wir sehen zwar schon die Lichter und laut GPS sind es auch nur noch 1,5 km – trotzdem landen wir abwechselnd auf einem Friedhof, im Oued oder in einem Graben. Dass man sich kurz vor dem Ziel so verfahren kann! Mohammeds Haus würden wir auch nicht mehr finden, würde uns nicht ein Freund der Familie mit wehendem Shesh und flatternder Djellabah auf dem Mountainbike vorausfahren. Ein skurriler Anblick!
Bei Mohammed zuhause läuft wieder alles ganz ungezwungen und uns in gewisser Art und Weise bereits bestens bekannt ab. Die Familie sitzt im Wohnzimmer auf dem Boden und folgt gespannt dem Fernseher. Marokko ist Zweiter geworden beim African Cup, gefeiert wird jedoch, als wären sie die Sieger. Wir trinken Tee, unterhalten uns und laufend kommen irgendwelche Cousins und Brüder an, die vorgestellt werden. Mohammeds Schwester Fatima sitzt zusammen mit zwei Cousinen in der Küche und bereitet das Cous Cous vor – wir sollen zusehen. Die Mädchen sprechen kaum Französisch, trotzdem unterhalten wir uns mit Mohammeds Hilfe gut, bis das Cous Cous nach langer Garzeit endlich fertig ist. Ich darf es servieren. Zusammen mit den Männern essen wir im Wohnzimmer, die Mädchen bleiben in der Küche. Es schmeckt sehr gut, nur das Fleisch schaut ekelhaft aus, selbst Alex rührt es nicht an. Nach einem weiteren Tee werde ich ins „Mädchenzimmer“ gezerrt, wo mir Fatima meine Hände mit Henna färben soll. Mir ist das unangenehm, weil ich merke, dass die arme Fatima schon müde ist und sie diese ganze Sache überhaupt nicht mehr interessiert. Aber Mohammed besteht darauf, sodass ich meine Hände halt in Gottes Namen ausstrecke. Mit wenig Liebe bestreicht sie Fatima mit dem Kraut und ich sehe jetzt schon, dass das „unschön“ enden wird. Trotzdem schweig ich mich aus und tue wie mir geheißen. Fatima schnarcht bereits vor sich hin, sodass mich die Cousine auf mein Flehen hin nach angemessener Einwirkzeit von dem Zeug befreit. Jetzt nur noch ins Bett! Wir dürfen in einem kleinen Häuschen nebenan schlafen, sozusagen in Mohammeds Arbeits“haus“. Es ist sehr kalt heute, deshalb sind wir froh, drinnen zu sein.
Zum Frühstück gibt‘s zusammen mit dem Rest der Familie Tee und eine Art runde Nudeln in einer scharfen Soße, danach Brot und die Feigenmarmelade, die wir mitgebracht haben. Meine Handinnenseiten sind knallrot! Ich schau aus, als hätte ich den Unfall meines Lebens gehabt! Nur die Mama und die Cousine finden meinen Baraka-Anstrich wunderbar.
Mohammed ist ein total liebenswerter Kerl. Mit einer Inbrunst zeigt er uns alles, was in seinem Umfeld von Bedeutung ist: wie Fatima aus dem rauchenden Brotbackofen steigt, wo seine Cousine die Teppiche webt, was er über die Gnowa Musik studiert und niedergeschrieben hat. Seine Vorfahren und mit ihnen dieser Musikstil kommen aus dem Sudan. Als Sklaven kamen sie damals nach Marokko. Die für die Gnowa Musik so typischen Kastagnetten erinnern an den Rhythmus, den die Eisenfußfesseln bei der Zwangsarbeit gemacht haben. Jedes Jahr im Juli findet in Khemliya das große Gnowa Festival statt. Von überall her kommen die Gnowas des Landes zusammen und feiern drei Tage lang ein großes Fest. Getanzt wird zu verschiedenen Rhythmen, man tanzt sich in Trance, bis zum Umfallen.
Wir wären wohl noch Tage hier als Gäste herzlich willkommen, aber unser Zeitplan ruft zum Aufbruch. Die Band posiert noch samt Instrumenten vor einer Düne für ein paar Fotos, Adressen werden ausgetauscht und es folgt eine sehr herzliche Verabschiedung. Ganz unverhofft durften wir am Leben dieser freundlichen Menschen teilhaben – das war ein sehr besonderes Erlebnis.

Fortsetzung folgt …
1 Anwort auf „Teil 4 – Irrfahrten durch die Wüste und Hochzeit auf marokkanisch“
Liebe Julia, wieder ein ganz toller Bericht gratuliere ? und deine Bilder in meiner Wohnung werden durch deine Erzählungen immer lebendiger ?? freu mich schon wie’s weitergeht …..