Kategorien
Marokko

Teil 2 – Geschäftiges Marokko

Ich spüre ihn schon, den Muskelkater und die zwei Druckstellen vom Sattel! Es ist also wahr, ich hab es nicht bloß geträumt … ich habe den Ritt mit Zin tatsächlich erlebt!
Wir frühstücken ein letztes Mal am Strand von Essaouira und starten dann Richtung TAFRAOUTE.

Über 300 km schönste Strecke, teils an der Küste entlang, liegen vor uns. Die letzten großen Städte hinter uns lassend cruisen wir durch die einsame Berglandschaft des Anti-Atlas. Argane- und blühende Mandelbäume sowie Ginstersträucher säumen unseren Weg, der ein Highlight an Landschaftserlebnis ist. Auf dem Weg werden wir wieder einmal unverhofft in Verkaufsgespräche verwickelt. Hassan breitet in Windeseile seinen Laden vor uns aus und bietet Silberschmuck und allerlei antiken Firlefanz an. Am Ende langatmiger Tauschgespräche bekommt er ein Schloss, ein Alarmgerät und ein T-Shirt, wir im Gegenzug ein kleines, silbernes Kreuz und ein versilbertes Tablett. Nicht schlecht, dafür dass wir gar nichts kaufen wollten und nur getauscht haben. War aber gar nicht so einfach, denn Hassan hat auch seine Ansprüche …

TAFRAOUTE

In Tafraoute mieten wir uns in einem kleinen Hotel ein, wo uns (schon wieder ein) Hassan bis ins Zimmer verfolgt unter dem Vorwand, die vorher nicht erledigten Formalitäten noch zu tätigen. So ganz nebenbei luchst er uns einen Pastis ab. Die sind hier ganz heiß auf Alkohol, aber jeder trinkt nur „gaaaaaanz wenig“, man will ja Allah nicht erzürnen!

Uns geht‘s momentan so richtig gut. Kein Stress, keine Sorgen, kein Druck, nur ein In-den-Tag-hinein-Leben und die Zeit genießen. Marokko ist wirklich ein Land, wo man Energien auftanken und wieder zu sich selbst finden kann.

Hassan tut alles, um uns den Aufenthalt in seinem Hotel so schön wie möglich zu gestalten. Er bringt extra Sessel und einen Tisch auf die Terrasse, wo wir in der Sonne unser Frühstück einnehmen. Von dort oben lässt es sich auch gut fotografieren, da man komplett unbeobachtet ist. Am Vormittag besuchen wir die einige Kilometer außerhalb von Tafraoute gelegene maison traditionelle, ein traditionelles Berber-Haus, durch das uns sein Besitzer, ein blinder Berber führt. Er macht das sehr interessant und man bekommt einen guten Eindruck, wie geräumig solche Bauten sind: unten der Stall für Ziegen, Schafe und Kühe und der Eingang für die Bewohner, darüber die Schlafräume, der Essbereich, die Küche und der Eingang für die Besucher, ganz oben der mit Teppichen ausgelegte Empfangsraum für die Besucher und die Terrasse. 

Am Nachmittag fahren wir zu den blauen Felsen, die etwas außerhalb von Tafraoute an der Straße nach Tiznit liegen. Ein belgischer Künstler hat 1984 der ohnehin schon bizarren Landschaft einen extravaganten Farbanstrich verpasst und einige der herumliegenden Felsklötze blau, rosa, lila, rot und schwarz angemalt. Nach einem ägyptischen Rezept soll er ganz und gar ökologisch die Farben zusammengemixt haben, die der Umgebung einen unvergleichbaren Hauch von Exotik verleihen. Etwas oberhalb des Kunstwerkes finden wir einen schönen Aussichtspunkt, wo wir in der Sonne einen gemütlichen Nachmittag verbringen. Später wagen wir uns mit dem Fronti noch mehr ins Gelände und erkunden die Gegend. Nach einigen Irrfahrten über Stock und Stein finden wir dann doch den Weg hinunter zu den bunten Felsen und sind überwältigt von dem Setting, das durch die untergehende Sonne, die rundherum alles rosa färbt, noch beeindruckender auf uns wirkt. Wir sind überwältigt! Diese Farben, diese Ruhe, dieses Naturschauspiel … und zwischendrin die von Menschenhand gemachten Farbtupfer! Wir beschließen, hier am nächsten Tag zu übernachten. Wer das nicht tut, dem entgeht was!

Heute ist Markttag in Tafraoute und somit die Hölle los in dem kleinen Ort. Schafe blöken, Hühner gackern, Brotlaibe werden mit Mofas durch die Gegend transportiert, aus den Verstärkern dröhnt die Musik noch lauter als sonst und der Menschenandrang verdient beinahe das Prädikat ENORM. Wir wollen Babouche, die traditionellen marokkanischen Lederschuhe, kaufen. Tafraoute ist das Zentrum der Babouche-Herstellung – für Männer die gelben, für Frauen die roten und doppelt muss das Leder verarbeitet sein, denn nur dann sind sie von premiere qualité. Es ist gar nicht so einfach, das richtige Paar für sich zu finden: zu eng, zu weit, zu groß, zu klein, zu bunt, zu dünne Sohle etc. Am Ende findet Alex für sich drei Paare in Gelb und für mich wird ein Paar in Rot in Auftrag gegeben, das ich morgen abholen kann. Insha‘Allah!

Auf dem Gemüsemarkt decken wir uns für unsere heutige Camping-Aktion mit Tajine-Zutaten ein, während wir zwischendurch immer wieder bekannte Gesichter treffen. Wir bleiben keine fünf Minuten unangesprochen, aber immer auf freundliche Art und Weise.

Bei Ali erhandle ich ein sehr schönes Touareg Amulett. Er wollte zuerst 800 Dirham! Unglaublich, mir welcher Coolness die einem diese enorm überzogenen Preise reindrücken. Ich wollte ihn schon fragen, ob er noch alle Pfefferminztee-Tassen im Schrank hat, konnte ihn dann aber doch auf die übliche Art und Weise davon überzeugen, das 180 Dirham auch leicht genug sind. Beim Pseudo-Touareg nebenan sind wir dann auch noch hängen geblieben, eigentlich nur deshalb, weil Alex diesen auf dem Gang im Hotel kennengelernt hat und die beiden ausgemacht haben, dass sie sich auf dem Suq treffen. Und da sitzen wir schon wieder … langer Rede kurzer Sinn … für einen wunderschönen silbernen Halsreif bin ich 200 Dirham losgeworden. Nun ist aber echt Schluss! Okay, etwas Weihrauch noch … 100 Gramm um 5 Dirham, ein gutes Geschäft. Gegen 14 Uhr verlassen wir den Markt und jetzt sollen wir noch in einen Teppichladen, haben wir gestern versprochen. Da sitzen wir nun, Alex und ich, zwischen Hunderten von Teppichen und ich kann mir echt nicht erklären, wie wir da schon wieder hineingeraten sind. Wir bekommen Tee serviert und sollen uns zwischen mindestens 15 vor uns ausgebreiteten Teppichen entscheiden. Als Geschenk für meine Familie hätten wir einen wunderschönen Kelim ins Auge gefasst, aber er soll 6300 Dirham kosten! Bestürzung ernten wir auf unsere Aussage, dass wir nicht mehr als 1000 Dirham zahlen können. Mit einem halben Liter Schnaps sehen wir noch eine kleine Chance, aber unter 1300 Dirham geht trotzdem nichts. Also lassen wir das mit dem Teppich bleiben, können aber dennoch die Situation positiv beschließen, indem ich einem Verkäufer Vita Wund auf seine verbrannte Hand schmiere und ihm diese bandagiere. Keiner ist böse und so fällt der Abschied nicht schwer.

Endlich Stille! Da sind sie wieder, die blauen Steine und das absolut bizarrste Setting, das ich seit Namibia gesehen habe. Am Fuße eines hellblau-schwarzen Felsklotzes schlagen wir unser Lager auf. Alex sammelt Brennholz, ich stelle das Zelt auf und lege einen Steinkreis für das Lagerfeuer. Es ist heute nicht so kalt wie die Tage zuvor, sodass es ein wunderschöner, gemütlicher Abend wird. Wir sitzen am Lagerfeuer und trinken Rotwein, während das Gemüse vor sich hinköchelt. Seit Kurzem haben wir Gesellschaft: ein offensichtlich herrenloser kleiner, weiß-brauner Hund lagert bei uns – jedoch auf Steinwurf-Distanz. Er rennt zwar weg, wenn ich versuche, mich ihm zu nähern, bleibt aber trotzdem immer bei uns und hat uns vor allem fest im Blick.

Es ist ein wortkarger Abend, vielleicht sind wir müde, vielleicht aber auch nachdenklich. Die Glut brennt mir im Gesicht, es riecht rauchig, es herrscht absolute Stille, ich starre ins Feuer und möchte diesen Abend mit nichts auf dieser Welt tauschen.

Ein alles durchdringendes Plastiksackerlrascheln weckt uns. Der Hund hat wohl was Spannendes gefunden, mit dem er jetzt Unfug treibt. Ich starte den Tag mit Fotografieren. Der Himmel ist bereits zuckerlrosa eingefärbt, die Spitzen der uns umgebenden Bergkette färben sich auch schon leicht rötlich. Ich klettere ein wenig auf den Felsen herum und warte gespannt auf die ersten Sonnenstrahlen, damit sie mir das blau-lila-rosa Steinkonglomerat bescheinen. Nach einer halben Stunde werde ich belohnt, sodass ich nun nach Herzenslust fotografieren kann. Mittlerweile ist auch der kleine Vierbeiner hinter mir her und verfolgt mich auf Schritt und Tritt. Als ich einen Moment nicht aufpasse, will er mit meinem Handschuh abhauen, ich kann ihn gerade noch so davon abhalten. Jetzt bellt und springt er – so ein verspielter Kerl!

Nach dem Frühstück fahre ich nach Tafraoute, während Alex auf unser Zeltlager aufpasst und das Geschirr spült. In der kleinen Stadt ist heute total tote Hose, sodass ich recht schnell mit meinen Erledigungen fertig bin. Zuerst hole ich meine Babouche, dann gehe ich in dieses Wahnsinns-Geschäft, wo bis unter die Decke meterhoch die Waren aufgetürmt sind, so ein richtiger Kaufladen! Dort bekomme ich Nudeln, Wäscheklammern, Tomatenkonzentrat, eine Dose Thunfisch und Geschirrspülmittel. Der alte Mann spricht Spanisch mit mir und scheint mir keine Touristenpreise aufzutischen. Ganz im Gegensatz zu dem griesgrämigen alten Giftzwerg an der Ecke, der mir einen Knoblauch und drei Zwiebeln um 5 Dirham verkaufen will. Selbst die um uns herum stehenden Männer machen große Augen, sodass ich beschließe, wieder zu gehen. Auf der Rückfahrt stoppe ich kurz beim Teppichladen und erkundige mich nach der Hand. Alles sei bestens! Für die Einladung zum Tee lasse ich mir allerdings eine Ausrede einfallen.

Den Nachmittag verbringen wir entspannt mit Lesen, Tagebuch schreiben und Hundetraining. Mittlerweile frisst uns der kleine Kerl schon aus der Hand und beschnüffelt unsere Füße. Er ist zwar immer noch sehr ängstlich, hat aber trotzdem schon Vertrauen gefasst. Er liegt zusammengerollt neben uns und folgt gespannt jeder unserer Bewegungen. Wäre total interessant, noch ein paar Tage mit ihm verbringen zu können.

Es ist so entspannend hier, wir wollen auf keinen Fall diesen Zeltplatz mit einem Hotel tauschen! Tun wir auch nicht. Das Wetter wird besser und es gibt wieder eine sternenklare Nacht. Unseren vierbeinigen Freund haben wir inzwischen Bello getauft, da er wie verrückt bellt, wenn sich ein anderer Hund seinem Revier nähert. Dies geschieht ausgerechnet während unseres Abendessens. Mir ist ein bisschen unwohl, denn wir wissen ja nicht genau, warum er so kläfft, könnte sich ja auch ein Mensch irgendwo herumtreiben in der Dunkelheit, der unseren Bello so zur Weißglut treibt. Aber spätestens nach der Portion Nudeln, die wir dem Hund zukommen lassen, ist die Stille der Nacht zurückgekehrt. Das Sternenzelt breitet sich in seiner unendlichen Weite über uns aus, die Glut des Lagerfeuers strahlt angenehme Wärme ab. Es ist wiederum ein einmaliger Abend, so wie ich mir das in Afrika vorstelle. Bello bleibt die ganze Nacht in der Nähe.

Am nächsten Morgen ist die Glut noch so heiß, dass wir nur etwas Holz drauflegen müssen und schon haben wir ein Feuer für den Frühstückskaffee. Auch Bello wartet bereits auf seine Ration, die ich ihm in Form von Brot und Olivenöl zukommen lasse. 

Wir wollen heute zum Agadir Tasguent, einer beeindruckenden Speicherburg 60 km nordwestlich von Tafraoute. Ich verabschiede mich mit Wehmut von Bello, der unseren Aufbruch mit gemischten Gefühlen zu betrachten scheint. Ich hab Bello sehr lieb gewonnen …

Die Strecke zum Agadir führt durch eine atemberaubende Berglandschaft, ist kurvenreich und auf jeden Fall nur was für schwindelfreie Gemüter. Die letzten Kilometer wird unser Fronti wieder auf Geländetauglichkeit getestet. Wir sind hier wohl in der absoluten Einöde des marokkanischen Hinterlandes gelandet, dem homeland der Atlas Berber. Als wir am Fuße des Agadir Tasguent stehen, können wir kaum glauben, was uns heranstürmende Frauen und Kinder erzählen. „Le guardian qui peut ouvrir l‘Agadir dort. Le guardian revient le dimanche. Oui, il est mort!“ Okay, also, wir fassen zusammen: Der Herr, der den Schlüssel zum Agadir hat und uns diesen zur Besichtigung öffnen könnte, schläft, kommt am Sonntag zurück und/oder ist verstorben. Wann ist er denn gestorben? „Oui, il est mort aujourd‘hui.“ Aha … also heute, und wann kommt er zurück? „Le dimanche.“ Aus all den auf uns hernieder prasselnden Informationen der wild durcheinander sprechenden Dorfbewohner können wir nur in Erfahrung bringen, dass der Pförtner des Agadir heute verstorben ist, jetzt schläft und am Sonntag zurück kommt. Nicht gerade sehr aufschlussreich, aber wir wollen die Speicherburg wenigstens von Außen besichtigen. Ahmed und eine Horde Kinder begleiten uns zur Anhöhe hinauf, wo wir den Agadir natürlich verschlossen vorfinden. Ahmed kann nur so viel Französisch, dass er alles, was wir ihn fragen, wiederholt und dazu bestätigend nickt. Ansonsten erklärt er aufgeregt alles auf Berber, klopft mir ständig auf die Schulter und streicht mir sich unaufhörlich bedankend über meine Haare. Ein skurriler Kauz, dieser Ahmed, und der sinnloseste guide, dem ich jemals begegnet bin, obwohl ich anmerken muss, das er es ehrlich gut mit uns gemeint hat.

Als wir zu unserem Auto zurückkehren, ist dieses umstellt von Frauen und Kindern, die seinen Inhalt offensichtlich extrem spannend finden. Die älteren Frauen haben eine riesen Freude mit Alex, der ihnen Berber-Ausdrücke vorliest und sie damit zum Schreien vor lauter Lachen bringt. Es ist faszinierend, wie ähnlich sich die Menschen sind, wenn es um Humor und Blödsinn machen geht. So einfach und entbehrungsreich diese Menschen hier leben und so fremd sie uns in ihrer scheinbaren Armut und ihrem harten Alltag, von dem ihr Äußeres gezeichnet ist, erscheinen mögen, so genialer ist diese kurze Zeit, die wir in ungewohnter Harmonie miteinander verbringen. 

Mit der Harmonie ist es allerdings vorbei, als es ans Austeilen von Kugelschreibern und Bonbons geht. Die ganze Horde Kinder stürmt auf mich los, eines kratzt mich sogar dermaßen an der Hand, dass sie blutet. Ich warne sie eindringlich, mir nicht zu nahe zu kommen, aber Erfolg habe ich erst nach mehreren Anläufen, auch mit etwas Hilfe von Ahmed und den älteren Frauen, die offensichtlich den Zorn in meinen Augen richtig interpretiert haben. In zwei Plastiktüten übergebe ich Tee, etwas Zucker, Kulis und Bonbons an zwei ältere Frauen, die daraus jedem etwas abgeben. Ich scheine hinsichtlich der Autoritätspersonen die richtige Wahl getroffen zu haben, da es kein Gerangel mehr gibt und sich jeder gerecht behandelt fühlt. Ahmed, die gute Seele, hat immer ein schützendes Auge auf uns. Wenn die Situation brenzlig wird, gibt er mir mit einem „Safi!“ zu verstehen, dass ich nun das Auto besser wieder zuschließe. Ich bedanke mich bei ihm mit 10 Dirham, er scheint mehr als zufrieden.

Alex hat die Frauenmeute mit seinem Berberlexikon fest im Griff und ich befürchte, dass sie ihn dabehalten wollen. Angedacht und schon geschehen ist er zum Tee in ein Haus eingeladen, ich kann ihn allerdings noch zurückhalten und davon überzeugen, dass es Zeit ist zu gehen. Ich weiß nicht, wie lange wir dort mit all den Menschen gestanden haben, es war auf jeden Fall ein einmaliges Erlebnis, das wir mit einem sehr positiven Gefühl beschließen.

TIZNIT

Unseren nächsten Stopp machen wir in TIZNIT, wo wir Rachid kennenlernen, der aus Tafraoute stammt und dem wir dort schon aufgefallen sind. Zuerst meinen wir, dass er uns nur anspricht, um uns in einen Silberladen zu führen, von denen hier anscheinend jeder einen zu haben scheint. Tiznit ist das Zentrum der Silberschmuckherstellung. Doch bald bemerken wir, das dem gar nicht so ist und sich Rachid als supernetter Kerl entpuppt. Er ist Berber, 24 Jahre alt und macht Trekking Touren mit Touristen. Ich muss so lachen mit ihm, weil er so viel und schnell redet und dabei so lustig gestikuliert. Rachid weiß extrem viel über Marokko, und nicht nur das, auch über europäische Gepflogenheiten weiß er bestens Bescheid. Er erzählt uns, dass er nie zur Schule gegangen ist, daher beeindruckt es mich umso mehr, dass er neben Berber Arabisch, Französisch und Englisch spricht und nebenbei noch so ein umfassendes Allgemeinwissen besitzt. Was Rachid aber am allermeisten auszeichnet, ist die Tatsache, dass er sehr viel Zeit mit uns verbringt und dies, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. 

Am Nachmittag fahren wir alle drei zusammen nach Aglou Plage, 15 Kilometer außerhalb von Tiznit, wo uns Rachid die Grotten zeigt, in denen die Fischer leben. Beim Anblick dieser in die natürlichen Felsaushöhlungen hineingepassten Behausungen wird mir wieder einmal klar, wie entbehrungsreich und hart das Leben für viele Menschen auf dieser Erde ist. Von Angesicht zu Angesicht mit der tosenden Brandung des heranstürmenden Atlantiks leben dieses ausgesprochen freundlichen Fischer in kleinen, feuchten Höhlen, die ihnen nicht mehr als eine Kochstelle und einen feuchtkalten Platz zum Schlafen bieten. Mit langen Angelruten stehen sie bis zum Bauch im Wasser oder fahren mit ihren Booten aufs offene Meer hinaus. Die Strömungen sind so gefährlich, dass selbst der japanische Schwimmweltmeister hier ertrunken ist. Rachid stapft mit uns den Strand entlang, wir wollen seinen Freund besuchen. Die Sonne ist bereits im Begriff unterzugehen, die ans Land getragene Gischt zeichnet eine weiche Landschaft. Als wir endlich bei Grotte Nr. 400 und nochwas ankommen, ist zwar nicht Rachids Freund da, aber ein anderer Fischer, der uns einen Blick ins Innere der Höhlenbehausung werfen lässt. Viel gibt es nicht zu sehen und ich frage mich, wie man DA leben kann …

Wir laden Rachid zum Abendessen ein und sitzen an diesem Abend noch lange zusammen. Ich schätze seine Gegenwart sehr, ich höre ihm gerne zu, wenn er vor sich hin philosophiert und wenn er über Marokko erzählt. Ganz offen spricht er über die viel zu hohen Touristenpreise und andere Fallen. Wir erfahren endlich, wie der kleine Kaffee im Glas heißt, nämlich Lassnaa (sprich „L‘ssn‘ss) und dass ich niemals sagen soll, dass ich journalistisch tätig bin, weil ich dadurch nur unnötig in Schwierigkeiten gerate, ich könnte ja was Böses über den König schreiben! Rachid ist offen und ehrlich, von ihm erfahren wir, wie es wirklich läuft in Marokko. Wir sind echt glücklich, dass wir ihn kennengelernt haben. Es war ein schöner Abend. Zum Abschied schenken wir ihm eine Flasche hausgemachten Schnaps. Seine Freude darüber kann er nur schwer verbergen, denn wenn er eine Schwäche hat, dann ist das Alkohol. Wir tauschen noch unsere Adressen und Telefonnummern aus und drücken uns einige Male fest die Hände. Am liebsten würde ich ihn kurz umarmen, dann würde ihn aber wahrscheinlich der Schlag treffen! 😀

Heute geht es über Sidi Ifni weiter nach Tan Tan. Die Straße führt durch schnurgerade Landschaft Richtung Süden. Als wir so unsere 100 km/h dahinfahren, hören wir plötzlich ein Puffen und nachher ein leichtes Zischen, als würde irgendwo Luft entweichen. Ein paar Sekunden fahre ich noch weiter und dann spüren wir es: ein Platten, rechts hinten. Platt wie ein Patschen und ein 3 mm großes Loch, ein trostloser Anblick! Alex nimmt es gelassen, nach einer halben Stunde hat er das Reserverad montiert und wir sind wieder on the road. In Tan Tan lassen wir in einer Werkstatt das Loch flicken. In 30 Minuten ist das geschehen um 40 Dirham. 

Tan Tan ist mir auf Anhieb unsympathisch. Die Leute schauen grantig, alles scheint ziemlich schmutzig und der Verkehr ist schon wieder das reinste Chaos. Wir beschließen trotzdem hier zu bleiben, da es schon spät ist. In einem abgefuckten Hotel am Busbahnhof finden wir Unterkunft. Alex will noch einen Shesh (marokkanischer Turban) kaufen. Stoffe gibt‘s hier ja zur Genüge, aber aus reiner Baumwolle muss er sein und diesen Anspruch an seinen zukünftigen Shesh verfolgt er beinahe schon mit paranoidem Eifer. Endlich finden wir einen weichen Stoff und kaufen davon 2 x 3 Meter. Zurück im Hotel probieren wir die Wickeltechnik aus und Alex kriegt beinahe einen Anfall! Der Stoff färbt total ab, unsere Hände und Stirnen sind bereits total schwarz. Er beginnt zu schimpfen und erbost sich über diesen Reinfall. Ich verstehe gar nicht, warum er sich über solche Sachen noch so aufregen kann. Als ich meine schwarz gefärbte Stirn im Spiegel betrachte, muss ich laut loslachen!

Am folgenden Morgen wache ich mit den Geräuschen des Busbahnhofs auf. In einer genialen Patisserie genießen wir ein süßes Frühstück und dann nichts wie weg aus diesem nervigen Tan Tan. Vorher müssen wir aber noch einmal in die Werkstatt – die haben uns den Reifen verkehrt herum auf die Felge aufgezogen. Bis Layoune sind es 370 km. Die Landschaft wird immer öder, vereinzelt ziehen sich gelbe Sanddünen der Straße entlang, dann ist wieder nichts als weite, brettelebene Buschlandschaft zu sehen. Das monotone Geradeausfahren wird nur unterbrochen, wenn uns dicke Lastwägen oder abenteuerlich beladene Geländefahrzeuge entgegen rauschen und das eigene Auto durch den Luftsog zum Schaukeln bringen. Alles Mögliche ist auf den Dächern verstaut, einschließlich der Schafe, die für das Große Fest, das Aid el-Kebir, von überall her nach Hause zur Familie gebracht werden, wo es ihnen dann sprichwörtlich an die Gurgel geht. 

Nachmittags erreichen wir Tarfaya, eine richtige Wüstenstadt, wo Touristen offensichtlich noch unbekannt sind. Wir trinken Kaffee und schauen dem Treiben auf dem Schafmarkt zu, wo noch um die letzten Hammel für das Große Fest gefeilscht wird. Unsere Ausbeute, eine Brasse und ein Seewolf, ist hingegen etwas geringer ausgefallen.

Übrigens sind wir heute im Sand hängen geblieben und haben zum ersten Mal die Sandbleche benutzt. Eingraben tut man sich ziemlich schnell, da haben wir blöd aus der Wäsche geschaut. Wir wollten über ein paar Dünen zu einer Lagune fahren, nach ein paar Metern war dieses Abenteuer allerdings schon zu Ende. Somit können wir wenigstens nicht sagen, dass wir mit dem Kauf der Sandbleche übertrieben haben.

Dieses Erlebnis sitzt uns ein bisschen im Nacken und so gerne wir auch unser Zelt bei einer vom letzten Sonnenlicht angestrahlten Düne aufstellen wollen, wir bleiben lieber auf dem geschotterten Gelände. Schließlich finden wir ca. 30 km außerhalb von Tarfaya einen schönen Platz mit Aussicht auf den Salzsee.

Der Sonnenuntergang ist wunderschön! Doch etwas getrübt nur können wir ihn genießen … Fronti pfeift wieder aus seinem Reifen, das Loch ist also undicht repariert worden und außerdem kracht‘s ganz fürchterlich im Allradgetriebe. Da wir jetzt aber ohnehin nichts tun können, lassen wir Fronti vor sich hinpfeifen und beginnen unsere Fische zu grillen …

Fortsetzung folgt …

3 Antworten auf „Teil 2 – Geschäftiges Marokko“

Hallo Julia,dein bildhafter
Reisebericht bringt eine angenehme Abwechslung in unseren zur Zeit eintönigen Alltag.Du hast sicher noch einige Abenteuer auf Lager.Freue mich schon auf Fortsetzung….Gruß Gitti

Liebe Julia, deine Erzählungen sind ein Eintauchen in einen Traum der sich so echt anfühlt als wäre ich euer Begleiter vielen Dank für die schöne Reise ??

Schreibe einen Kommentar zu Edith Lindner Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert